hermann sohn

(* 5. April 1895 in Esslingen-Mettingen; † 14. Mai 1971 in Esslingen am Neckar) war ein deutscher Kunstpädagoge und Künstler.

 

Hermann Sohn wurde 1895 als Sohn eines Weingärtners in Esslingen-Mettingen geboren. Nach der Schulzeit absolvierte er im Esslinger Schreiber-Verlag eine Lehre als Lithograph. Von 1911 bis 1913 studierte er an der Kgl. Kunstgewerbeschule Stuttgart bei Bernhard Pankok. Anschließend war er als Gebrauchsgrafiker tätig. Während des Ersten Weltkriegs schwer verwundet, wurde er 1916 als Invalide aus dem Militärdienst entlassen. Von 1918 bis 1922 studierte er Malerei an der Stuttgarter Akademie der bildenden Künste bei Christian Speyer, Christian Landenberger, Adolf Hölzel, Arnold Waldschmidt und Heinrich Altherr. Dort lernte er auch Willi Baumeister und Oskar Schlemmer kennen. Nach kubistischen und konstruktivistischen Anfängen wandte er sich unter dem Einfluss Altherrs dem Expressionismus zu. 1923 wird er Mitglied der Stuttgarter Sezession. 1925 ermöglichte ihm ein Stipendium einen zweijährigen Studienaufenthalt in Berlin, wo er von dem Kunsthändler Alfred Flechtheim gefördert wird. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde 1937 ein Arbeits- und Ausstellungsverbot gegen ihn verhängt. Nach Kriegsende 1946 wurde er als Professor für Malerei an die Stuttgarter Akademie der bildenden Künste berufen, wo er bis 1962 tätig war. Nach seiner Emeritierung lebte er als freischaffender Künstler in Esslingen am Neckar.


Zwei Liebespaare, 1918 Rötel, 40,5x36cm                                           Selbstporträt, 1918/19 Öl/Kt 43x37,5cm                         Farbenspiel, 1920 Öl/Lw 87,5x77,5


Dorf bei Nacht, 1922
Dorf bei Nacht, 1922

Dorf bei Nacht

1923 Öl/Lw 72x137cm

"Das war die erbärmlichste Zeit, die ich erlebt habe. Nichts mehr. Nichts mehr. Der letzte Rest von meinen Brüdern ist vollends zerfetzt. Nichts zum Anziehen. Nichts zum Heizen. Wenig zum Essen. Das ist mein damaliger Zustand gewesen. Ich habe keinen Schlaf mehr gefunden...Ich bin oft in der Nacht, ganz allein, rüber in den Wald gepirscht. An dem Tag, als ich das Bild gemacht habe, bin ich, - das war morgens zwischen halb drei und halb vier, und es hatte Nebel -, da drüben auf der Neckarbrücke einem Mann begegnet, tief eingehüllt in einen Mantel, den Hut reingeschlagen: er hatte einen schwarzen Hut auf. Der ist nur, wie nichts, den Neckar rüber dem Wald zu; ich kam zurück. Der Mann war ein Ingenieur der Maschinenfabrik. ... Um sieben Uhr hieß es, daß dieser Ingenieur, der an mir vorbeigelaufen ist, seine Frau und seine Tochter und dann sich selbst umgebracht hat. Und dann habe ich dieses Bild gemalt: "Die Nacht".

Derlei surrealistische Geschichten dienten Sohn dazu, dem Laien den tieferen Sinn, das Geheimnis, eines Werkes anschaulicher zu machen. Man darf diese Geschichtchen aber, wie das immer wieder getan wurde, nicht als Bildanlaß verstehen. Hermann Sohn identifiziert sich hier vielmehr mit jenem "Ingenieur" (schon die gemeinsame Wurzel der Berufsbezeichnung weist auf das "Genie" hin); Die Gesellschaft, die Durchschnittsmenschen, und das subjektivistisch-geniale Individuum sind schicksalhaft in einen unüberbrückbaren Dualismus geraten. Der genialisch moderne Künstlertyp ist zum lästigen Außenseiter geworden, zum 'outlaw'. Der Künstler als todbringender Verbrecher: das ist der äußerste Grad der Opposition von Kunst und Leben. Seinem Schüler Martin Heller gestand er später: "Damals war ich nahe daran, Schluß zu machen, ich fühlte mich damals von meiner Umgebung unverstanden. Ja, wenn es die wenigen Lichter nicht gegeben hätte!"

Das Gemälde ist transzendentalpoetisch; sein Thema ist die krisenhafte Stellung des "außerordentlichen" Menschen, der stets bedrohlich am Abgrunde des Nichts und der Selbstzerstörung wandelt.


Braut, 1923, Öl/Lw 40,5x50,5cm                        Selbstporträt, 1923, Öl/Lw 73x53cm       Strickende Frauen, 1923, Kohle, 41x36cm                     Tänzer, 1923 Öl/LW 64x54,5cm


Traumbildnis, 1923
Traumbildnis, 1923

Traumbildnis

Bei den 1924 in Berlin entstandenen Collagen >Weiblicher Akt< und >Traumbildnis< dienten Stückchen von Zigaretten- und Pralinenpapier, mosaikartig auf ein Plakat geklebt, als Malgrund. Es war eine schlimme Zeit damals für Künstler. Die dadaistischen Klebebilder aus Abfallmaterial haben ihren sozialen Hintergrund.

 

Der Traum 

Vorherrschende kubische Form ist die Pyramide, was nicht nur formaler Einfluß der Dreieckskompositionen seines Lehrers Hölzel ist. Auf den von der Erde aus unsichtbaren, unerreichbaren, in die Wolken ragenden Gipfel des Berges im Hintergrund sind alle anderen, oft wiederum pyramidalen Bildelemente ausgerichtet: Extremitäten und Brüste der Träumenden, Tuch, Pflanzen, Architektur. - Der Berg symbolisiert seit altersher den Aufstieg des Gedanken vom Körperlichen zum Unkörperlichen, das Transzendieren vom Tierhaft-Erdgebundenen zum Sublim-Geistigen.

Der Traum, 1923
Der Traum, 1923

Innerlichkeit und Autonomie sind die Wesenszüge des Genies, die es zur Einsamkeit bestimmen und es damit schließlich immer wieder auf sich selbst zurückwerfen. Will man - was möglicherweise überinterpretiert sein mag - die Lage der Hand der vollkommen einsam Vor-Sich-Hinträumenden als sexuellen Habitus der Selbstbefriedigung auslegen, so thematisiert Hermann Sohn mit dieser Geste die tragische und gerade für die deutsche Geistesgeschichte bezeichnende, wenn auch nicht unreflektierte, Gefahr einer in weltlosen und narzißtischen Subjektivismus mündenden Autonomie, der In-Sich-Selbst-Verfallenheit eines asozialen "art pour l'art".

 



Die Schwarzen Männer / "Die Ratten verlassen das Schiff", 1934
Die Schwarzen Männer / "Die Ratten verlassen das Schiff", 1934

Die schwarzen Männer,

Öl/Lw 150x200cm, Galerie der Stadt Stuttgart

 

Martin Heller macht 1985 auf das bereits 1934 gemalte, prophetische Beispiel geistigen Widerstandes aufmerksam, "eines der wenigen antifaschistischen Bilder jener Zeit".

 

In dem Bild, das den sarkastischen Untertitel "Die Ratten verlassen das Schiff" trägt, setzt sich Sohn mit dem Intellektuellen-Haß der Nazis auseinander. Es ist als Allegorie des von der nationalsozialistischen Propaganda usurpierten Gedankengutes zu verstehen. Die Nazi-Propaganda, - deshalb eben der NS-Kurier-Verkäufer -, bezeichnet die Intellektuellen: den Schöngeist mit der Rose, den Wissenschaftler mit Arztkoffer und die intellektuelle marxistische Linke (Arbeiter) als "zersetzend", "verjudet", "blutleer", eben als todbringende Rattenplage. Es gelingt der Rechten in Deutschland einen Gegensatz zwischen kollektiver Genialität der arischen Rasse und angeblich jüdisch intellektueller Zersetzung zu erzeugen: Überall, wo Hitler von den Juden spricht, gibt es ein nur mühsam verhehltes Moment der Bewunderung: die jüdische Intelligenz, die "geistigen Fähigkeiten", das spezifisch "intellektuelle" Vermögen. Aber diese Intellektualität wird nicht nur immer wieder als unschöpferisch charakterisiert, sondern sogar als antigenial: als "zerstörerisch" und "zersetzend". Dieser irrationale Gemeinplatz gewann zuvor zum ersten Mal in der Dreyfuß-Affäre an Brisanz, doch siegte im Nachbarland die französische Bewunderung für alles Rationale. In Deutschland müssen diejenigen, die, mit kritischem Geist und analytischem Verstand begabt, nicht bereit sind, sich idealistisch-blindlinks dem Führergenie glaubend anzuvertrauen und sich von den Worten der zentralen Figur abwenden, das Schiff verlassen. Da ist alles Geistige dem Tode geweiht. Ein totalitäres Regime beginnt mit der Opposition im Lande aufzuräumen.


Kristallnacht, 1938
Kristallnacht, 1938

Kristallnacht

Öl/Lw 105x87cm

 

1938 malt Sohn das Gemälde "Kristallnacht", nachdem er zufälligerweise Zeuge der gewaltsamen Räumung des jüdischen Waisenhauses in Esslingen wurde. Die Judenkinder wurden, wie auch sein jüdischer Freund Fischer, Dekorateur bei Landau und Röhn, in Vernichtungslager abtransportiert.

 

Hermann Sohn erzählt 1968 an seinem 75. Geburtstag von dem, was im Israelitischen Waisenhaus "Wilhelmspflege" passiert ist. Tonbandprotokoll: "Das Bild da, das hab' ich "Krystallnacht" genannt. Und das ist mir passiert: hier in Esslingen da gab's ein israelitisches Waisenhaus, auf der Höhe. Und ich bin geholt worden, von einem Malermeister, wegen Farbbestimmungen, in dieser Kaserne oben, in der Becelaere-Kaserne. Und wir fahren da die Mühlbergerstraße 'nauf, die Panoramastraße, und kommen an dieses Waisenhaus hin. Da ist vorne ein großer Hof gewesen. Man ist da die Staffeln raufgegangen. Und da seh' ich, wie da die Kinder rausspringen und schreien: mordio!' und rennen und tun und machen. Und dann spring' ich rein in den Hof, ein großer Schulhof, spring' ich rein, und jetzt schmeißen sie oben durch die Fenster Fahnen, israelitische Fahnen, und alles mögliche zum Fenster raus, und Bücher und was weiß ich. Also da ging's drunter und drüber. [Gast: Das war die SA!] Und ich steh' in dem Hof und ich schrei', was ich aus dem Hals rausbring': ‚Polizei! Polizei! Wo ist denn die Polizei! Polizei!' Und dann rennt einer von den Kerle auf mich zu und sagt: "Kerle, wenn du jetzt net deine Gosch hälst, und gleich verschwindest, dann schlag' ich dir den Schädel ein!' Jetzt ist das die Zeit gewesen der Kristallnacht. Auf dies hin ist die Kristallnacht gekommen. Und die Kinder sind alle dem Wald zugerannt, dem Schurwald zugerannt, und auch der Leiter von diesem israelitischen Waisenhaus. Das habe ich natürlich nicht gewusst. Und ich bin heim und nehme meine Leinwand und habe dieses Bild gemalt. Das ist die 'Krystallnacht': fünfarmiger Leuchter hinten und dann der Judenstern. Das hätt' ich dürfen niemand zeigen. Das hab' ich versteckt gehabt."

 

Diese Beschreibung stimmt recht genau mit derjenigen von Günter Grass in 'Mein Jahrhundert': 1938 überein. Die Tatsache, dass die Stadt Esslingen nie Interesse am Erwerb eines solchen Zeitdokumentes gezeigt hat, scheint die Auffassung von Günter Grass über den Umgang der Stadt Esslingen mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit leider zu bestätigen.



Japanisches Ballett, 1956
Japanisches Ballett, 1956

Japanisches Ballett

Pastell 44x62cm

 

Nach den "schwarzen", für Hermann Sohn doch im Großen und Ganzen unproduktiven Jahren, knüpft der Maler, jetzt neben Baumeister und Steißlinger Professor an der Stuttgarter Akademie der bildenden Künste, an die von Vitalität und Lebensbejahung bewegten, nur noch konturhaft-gegenständlichen Fauves-Kompositionen um 1930 an. Auch vom Thema her sind die Arbeiten wieder transzendentalpoetisch, ganz in der spielerisch "närrischen" Welt der Kunst, der Artisten und Musikanten, eingebettet. Musikalisches bringt die neuen Kompositionen in Bewegung.



Bert Schlichtenmaier: Hermann Sohn

 

Hermann Sohn studierte ab 1916 an der Stuttgarter Akademie der bildenden Künste zunächst bei den Professoren Christian Speyer, Christian Landenberger und Arnold Waldschmidt. In der Komponierklasse Adolf Hölzels, die er kurz besuchte, kam er in Kontakt mit Willi Baumeister und Oskar Schlemmer, dessen Ateliernachbar er wurde. 1920 übernahm er bei Schlemmers Weggang dessen Atelier. Als junger Akademiestudent setzte er sich mit dem zu jener Zeit in Stuttgart aktuellen Kubismus und figürlichen Konstruktivismus auseinander. Aber auch der figürliche Expressionismus Altherrscher Prägung gewann für ihn an Bedeutung. Sohn befand sich damit, wie die ersten Jahre der freien künstlerischen Tätigkeit deutlich machen, im Spannungsfeld der an der Akademie wettstreitenden künstlerischen Richtungen des figürlichen Expressionismus und figürlichen Konstruktivismus, ohne sich zunächst auf eine dieser Richtungen festzulegen.

Seinem Lehrer Altherr ging es um die Ausdrucksmächtigkeit von Inhalten, die sich ihm in dem Pathos und der Suggestivkraft der spannungsvollen Kompositionen sowie der rituellen Gebärde offenbarte. Altherr blieb dem Helldunkel treu, steigerte es auf Schwarzweiß mit karg aufleuchtenden Farben und verzichtete auf eine Farbigkeit, die alles Tonige zugunsten ihrer Ungebrochenheit verließ und dies bei einer auffallenden Dominanz des Malerischen.

 

Seit 1923 war Sohn Mitglied der von Altherr ins Leben gerufenen Stuttgarter Sezession, die sich vom Künstlerbund abspaltete und sich vor allem dem Expressionismus öffnete. 1923 stellte er sich mit einer großen Kollektion zusammen mit Rolf Nesch und Wilhelm Schmidt im Ulmer Kunstverein der Öffentlichkeit vor. Ihr folgte im gleichen Jahr eine breite Präsentation seiner Werke auf der Ausstellung der Sezession im Stuttgarter Kunstgebäude. Ein Jahr zuvor, 1922, beteiligte er sich an den Ausstellungen des Württembergischen Kunstvereins.

 

Der Kritiker Dr. Wolfgang Pfleiderer machte den Stuttgarter Kunstsammler und Mäzen der Stuttgarter Sezession Hugo Borst auf den jungen Künstler aufmerksam. Borst ermöglichte Sohn einen Studienaufenthalt in Berlin und vermittelte ihm ein Atelier im Boschhaus in Berlin-Charlottenburg. Im Jahr 1931 erläuterte Pfleiderer die Beweggründe seines Engagements für den jungen Künstler wie folgt:

 

Unter denen, die durch Altherrs Schule gegangen sind oder doch angeregt wurden, ist der stärkste wohl Hermann Sohn. Seine monumentalen, so gar nicht von des Gedanken Blässe angekränkelten Kompositionen zeigen in der Einheitlichkeit des Form- und Farberlebnisses und in der Kühnheit der gestalterischen Phantasie einen Künstler, der das Zeug hat, über das Schwabenland hinauszuwachsen. (Katalog 1931 zur Eröffnung der Sammlung Hugo Borst).

 

Während seines Berlinaufenthaltes setzte sich Sohn intensiv mit den Strömungen der europäischen Avantgarde auseinander, erfreute sich der Gunst des Kunsthändlers Flechtheim und erhielt über ihn Anschluß an aktuelle bildnerische Tendenzen. Den Berliner Jahren folgte 1926 ein Studienaufenthalt in Paris.

 

In der Tradition Altherrs schuf Sohn anfänglich ausdrucksstarke, in zarten Grautönen gehaltene, karge Landschaften, bei denen die Formen um des Ausdrucks willen vereinfacht wurden. Sein bleibendes Thema aber war die menschliche Figur in der Vielfalt ihrer Ausdrucksformen. So entstand 1923 ein Selbstbildnis, das von Altherrs figürlichem Expressionismus abgeleitet werden kann. Demgegenüber entstand 1920 eine >Komposition<, die in ihrem Wechsel von Vertikalen und Horizontalen ganz aus das Spannungsverhältnis der Fläche bezogen ist.

 

Verrät schon das Bildnis von 1923 einen latenten Einfluß des Kubismus, der sich hier in einer zaghaften Deformation des Gegenstands sowie in der Reduktion auf wenige markante blockhafte Grundformen äußerte, so zeichnete sich das im selben Jahr datierte Gemälde >Dorf bei Nacht< völlig durch kubistisches Formenvokabular aus. Das Gemälde basiert auf einer streng gebauten Hölzelschen Dreieckkomposition. Die Bildmagie ergibt sich aus dem Kontrast der hellen Fenster gegen die Schwärze der Dunkelheit. Lebhaftes Interesse auch in der Presse fand das 1924 entstandene Gemälde >Traum< , das eine, in ein weißes Gewand gehüllte, liegende Frauengestalt vor kubisiertem Hintergrund zeigt. Mit Hilfe kubistischer Gestaltungsmittel wird die in ein Gewebe von Linien und kristallinen Formen gehüllte Figur der Wirklichkeit ätherisch entrückt und dem Künstler gelang die Verkörperung eines übersinnlichen Schauens.

 

Ins gleiche Jahr datiert das formal komplexe Gemälde >Mädchen mit Briefen<, das eine enge Beziehung zum französischen Konstruktivismus aufweist. Vielfach spürt man bei diesen frühen Figurenbildern eine Auseinandersetzung mit Willi Baumeister und Oskar Schlemmer. Von diesen mag er auch bei seinem Bemühen um die Befestigung des künstlerischen Aufbaus die ersten Impulse zur Beschäftigung mit geometrisierender Formvereinfachung und flächenräumlicher Verspannung bezogen haben.

 

Ganz im Gegensatz zu dem zwei Jahre zuvor entstandenen Selbstbildnis suchte er in dem von 1925 Anschluß an Baumeister. Strebte er bei dem frühen Bild mittels eines in Grautönen befangenen Expressionismus nach blockhafter Vereinfachung, so suchte er hier von Baumeisters konstruktivem Sinn zu lernen, farbige Flächen harmonisch und mit räumlicher Spannung gegeneinander zu stellen und ineinander zu fügen. Auffallend ist eine scharfkantige, bewußte Flächenteilung. Gleichzeitig schritt Sohn, gleichsam als Reflex der von der Neuen Sachlichkeit vertretenen Formprinzipien, in seiner harten, unsentimentalen Sicht der Dinge fort und kam, wie schon bei dem frühen Selbstbildnis, zu einer lapidaren Betonung der Form. Zusehends gewann dann wieder die von Altherr bezogene entschieden zusammenraffende Handschrift an Dominanz. Anders als bei Altherr, für den die Farbe nie Selbstzweck war - auch nicht im malerischen Sinn - , werden die Farben nicht mehr in ein Helldunkel gebettet. Die Kargheit der Palette ist Vergangenheit.

 

Seine auf unsentimentaler Wirklichkeitserfahrung gegründete Bildsprache verrät in vielem eine Geistesverwandtschaft mit Karl Hofer, dem er in Berlin begegnet war. Dennoch kann von keiner Abhängigkeit gesprochen werden, da Sohn seine bildnerischen Ausdrucksmittel völlig eigenständig aus der Schule Altherrs und über den figürlichen Konstruktivismus und Kubismus entwickelt hatte. Dies wurde bereits eingangs an dem frühen Selbstbildnis von 1923 belegt, bei dem Sohn schon vor seinem Berliner Aufenthalt zu der expressiven Pathossprache gefunden hatte. Zweifellos wurde er aber durch die Begegnung mit Hofer darin bestärkt, der Linie als Umriß von Figuren einen neuen Wert als Ausdrucksmittel zuzumessen. Während der Berliner Jahre gewann neben dem malerischen Verhalten das zeichnerische Formen an Bedeutung. Hans Kinkel zufolge, spricht es "für die Einsicht und die elementare malerische Substanz Sohns, daß dieser Künstler sich allen Formen und Dogmen konsequent fernzuhalten wußte" (Stuttgarter Zeitung, 4. 5. 1961).

 

Naturalismus und Sachlichkeit im Sinne eines Abschreibens der Natur kennt Hermann Sohn nicht. Trotz ihrer Klarheit kann man seine Malerei auch nicht der "Neuen Sachlichkeit" zurechnen, denn sie vernachlässigt das Detail und sucht hingegen das Typische in großzügiger Weise expressiv zu erfassen. Die bildnerische Gestaltung entspringt einer ganz persönlichen Vorstellungswelt, seine Gemälde strahlen unverkennbar Eigenständiges aus. Die Form entwickelt er aus dem Raum. Wesentlich ist der herbe, oft monumentale Ausdruck seiner scharf umrissenen Figuren. Überall zeigt sich ein großzügiger Drang zum Elementaren sowie zu dezidierter Formsprache. Die Figuren haben alle den typischen Rundschädel und oft die geschlitzten, maskenhaften Augen. Sohn liebte es seine Figuren aus einem dunklen, häufig tiefbraunen Hintergrund heraus zu entwickeln und sie mit den sparsamsten Mitteln zu versehen. Auffällig ist ein Sinn für farbliche Kontrastwirkung sowie, vor allem später, die Vorliebe für klare direkte Farben. Altherr, zu dem er durch gegenseitige Besuche nach wie vor in enger Verbundenheit stand, bestätigte ihn auf dieser Suche um die große Form und muß sich über den jungen Künstler mehrfach lobend geäußert haben.

 

Im Selbstbildnis >Frierender Maler< von 1925 entdeckt Sohn den Eigenwert der Farbe. Das Bild ist bestimmt von einer eisblauen Kühle, die mit fahlem Weiß kontrastiert. Einfach und zügig sind die Umrisse gemalt. Auffällig ist das Streben nach gebändigter Form und das Befestigen des künstlerischen Aufbaus. Unter Beachtung des konstruktiven Bildgesetzes suchte er nach einem dem Inhalt adäquaten formalen Bildrhythmus, mit dem er sein inneres Erleben zu stärkstem Ausdruck bringen wollte.

 

Anläßlich einer Parisreise im Jahr 1926 setzt sich Sohn dann auch mit André Derain, einem der Begründer des Fauvismus auseinander. Gegenüber den anderen Fauves, mit denen Derain die Heftigkeit des Farbauftrags verbindet, erscheint uns seine Kunst als eine Rückkehr zum Gegenstand. Beiden, Sohn und Derain, verwandt ist das Bemühen um eine große Form und Konstruktion, das Interesse an der Mannigfaltigkeit der farbigen Materie sowie die zeichnerische Stimmigkeit.

 

Einer um ein vielfaches lauteren, härteren und ungebrocheneren Farbigkeit öffnet sich Sohn um das Jahr 1927, um sich von dieser jedoch ein Jahr später wieder abzuwenden und zu einer beherrschteren, kraftvollen Farbigkeit zurückzukehren. Gleichzeitig wurde er im Malerischen, wie im Ausdruck temperamentvoller und lebhafter und lockerte das Bildgefüge auf. Sohn erwog die Probleme in Farbe und Form und kam zu einer akzentuierten Farbgebung bei straffer Konzeption und Komposition. 1929 entstand der >Lärmende Bub< mit seinem frischen lebendigen Rhythmus. In lauter Geste macht der hier dargestellte Sohn des Künstlers auf sich aufmerksam und schwingt mit der einen Hand einen Zweig, mit der anderen einen Kasperl, den Schlemmer einst ihm zum Geschenk gemacht hatte.

 

Unter dem Eindruck der menschlichen Not seiner Zeit entstanden großformatige, unbekümmert eigenwillige Gemälde mit sozialkritischem Charakter, wie der >Kriegsinvalide< (1929), >Kinderbad<,,(1928) und der >Säugling< (1928), der mehr Mitleid als Entzücken erregt. Die Bilder offenbaren eine unerbittlich herbe, tragische Weltschau und stehen als Zeugnisse eines politisch-kritischen Malers.

 

1929 beteiligt sich Sohn an der Gründung der >Gruppe 1929<, der Gottfried Graf, Walter Ostermayer, Albert Mueller und Karl Knappe zugehörten. Vertreten war er unter anderem mit den Gemälden >Kriegsinvalide<, >Lärmender Bub<, >Säugling<, >Der Kritiker<(1929) und dem >Gepäckträger< (1929). Im Vorwort des Kataloges zur 1. Herbstschau 1929 hält Graf fest: "Die Gruppe 1929 Stuttgart ist eine Arbeitsgemeinschaft neuzeitlich schaffender bildender Künstler. Sie will durch Ausstellungen die künstlerischen Bestrebungen der Gegenwart einheimischer wie auswärtiger Künstler zeigen ... Es ist nicht leicht, die künstlerischen Tendenzen der Gegenwart auf eine einfache begriffliche Formel zu bringen. Das Schlagwort für die Kunst der jüngsten Gegenwart ist noch nicht gefunden. Die radikalen, oft verlachten und selten verstandenen Bestrebungen der letzten Jahrzehnte als Auswirkung eines in der Kunstgeschichte beispiellos dastehenden künstlerischen Kritizismus sind ruhigeren positivistischen Anschauungen gewichen. Man bekennt sich allgemein zur gegenständlichen Kunst. Das Schaffen aus der Vorstellung weicht zwar oft von der optischen Tatsachenwelt ab, aber die Freiheit der subjektiven Auffassung des Gegenstandes nach Form und Farbe wird im Bild durch das Gesetz der Gestaltung gebunden."

 

Wie der Besuch Alfred Flechtheims in Esslingen und eine Ausstellung 1930/31 in der Galerie Westheim in Berlin verdeutlichen, fand Sohn in jenen Jahren überregionale Beachtung. Mit Einzelausstellungen im Kunsthaus Schaller 1933 und der Galerie Valentien 1934, die von der Kritik mit größtem Lob gewürdigt wurden, stellte er sich dem Stuttgarter Publikum eindrucksvoll vor.

 

1937 führte Sohns Expressionismus zum Berufs- und Ausstellungsverbot. Anläßlich einer Ausstellung der Sezession im Stuttgarter Kunstgebäude wurden seine Bilder sowie die der Künstlerkollegen Leonhard Schmidt, Peter Jakob Schober, Rudolf Müller u.a. von dem nationalsozialistischen Landesleiter Glöckler aus der Ausstellung entfernt. 1937 entstand ein Selbstbildnis, auf dem er sich als Zeichen des Malverbots, ohne Pinsel darstellte. Zuvor malte er 1934 das Gemälde >Die schwarzen Männer< (>Die Ratten verlassen das Schiff<), eine gesellschaftskritische Figurenkomposition mit Totenkopfgesichtern und Hakenkreuzbinde.

 

Nach dem Krieg war Sohn zunächst im Gespräch für ein Lehramt an der Berliner Akademie. 1945 war er Mitbegründer des Verbandes bildender Künstler Württembergs und gehörte dem Planungsausschuß zur Wiedereröffnung der Stuttgarter Akademie der bildenden Künste an. 1946 erhielt er neben Willi Baumeister und Fritz Steisslinger die Leitung einer der drei Malklassen. Sohn war an der Akademie bis 1962 als Professor tätig und förderte mit seiner "undoktrinären, auf das Gesetzmäßige der Gestaltung gerichteten Lehrtätigkeit" mit großer Pflichterfüllung viele junge Begabungen (h.k. (Hans Kinkel), Stuttgarter Zeitung, 2. 4. 1965)

 

Da Sohn, als engagierter Lehrer, abgesehen von der Ferienzeit nur wenig Zeit und Kraft zur Schaffung eigener großer Bilder blieb, verlagerte sich ab 1946 sein Interesse auf die Pastelltechnik. War das Werk vor dem 2. Weltkrieg aus herber Weltschau geschaffen, so offenbart sein Werk der 50er und 60er Jahre eine innere Heiterkeit und Lebensfreude, die nicht nur in der Wahl der Motive, sondern auch im leuchtenden Kolorit zum Ausdruck kommt. Sohn lockerte nach 1945 das kompositionelle Gefüge durch dekorative Farbakzente und Kontraste auf. Seine Arbeiten beherrscht nicht mehr der Altherrsche Helldunkelkontrast. Sie sind vielmehr bestimmt von der unmittelbaren Wirkung der sinnlichen Farbe, die entmaterialisiert wird und durch sich selbst wirken soll. Besonders in seinen Pastellen, suchte er nach einer Verbindung des linear gefaßten Gegenstandes mit dem Farbigen. Indem er das Malerische mit graphischen Strukturen und Bewegungsrhythmen durchsetzte, erfüllte er die Fläche mit Leben und Spannung. So entstehen "farblich aparte, duftende, wundervoll ausbalancierte Kompositionen von Artisten, Jongleuren, Tänzern, Ballettgruppen, Schaufensterfiguren, Opernszenen. Die Körperformen, virtuos abstrahiert, schwingen in freien Rhythmen. Ruhe in der Bewegung, schwebende Leichtigkeit, Zartheit der Farbe charakterisieren diese Pastelle." (k.d. (Karl Diemer), Stuttgarter Nachrichten, 21. 3. 1959)

Mit den frühen Arbeiten verbindet sich das Werk nach 1945 durch das künstlerische Interesse an einer straffen und großen Form sowie durch die Suche nach einem dem Inhalt adäquaten formalen Bildrhythmus.